#32 Kein Persönlichkeitstest nötig, KI hat dein Profil schon erstellt
Wie du formulierst, sagt mehr über dich aus, als du denkst
Manchmal habe ich das Gefühl KI-Tools kennen uns besser, als wir uns selbst. Ich habe mich bei ChatGPT einmal erkundet, wie er mich einschätzt bei den Big 5 Persönlichkeitsfaktoren. Und nach der Überprüfung mit dem Test muss ich zugeben, er lag goldrichtig. Schon ein bisschen unheimlich, nicht?
Als Erklärung des Spinnendiagrammes: Ich bin ein fleissiges Bienchen (Gewissenhaftigkeit 5), das neue Themen liebt (Offenheit 4-5) und neugierig ist und mittelverträglich (Verträglichkeit 3-4) ist.
Um was geht es bei diesem Big Five Persönlichkeitstest überhaupt?
In der Psychologie ist es gelungen, ein abstraktes Konzept wie unsere Persönlichkeit in Zahlen umzuwandeln und somit messbar zu machen. Der Begriff stammt aus der Faktorenanalyse.
Was ist das “Faktorenanalyse”?
Wissenschaftler nahmen Lexika und fassten Wörter mit ähnlichen Eigenschaften und Merkmalen in Gruppen zusammen. Beim Big-Five-Modell wurden viele verschiedene Begriffe, die Menschen zur Beschreibung von Persönlichkeit verwenden, mithilfe von Statistik (Faktorenanalyse) so sortiert, dass am Ende fünf grosse Gruppen (Cluster) übrig blieben, die ähnliche Persönlichkeitsmerkmale beschrieben. Diese fünf Gruppen sind:
Offenheit (für neue Erfahrungen)
Gewissenhaftigkeit
Extraversion
Verträglichkeit
Neurotizismus
Jede dieser Gruppen umfasst ähnliche Eigenschaften. So gehören beispielsweise Fantasie und Neugier zur Offenheit, während Ordentlichkeit und Zielstrebigkeit zur Gewissenhaftigkeit zählen. Die einzelnen Faktoren zeigen sich wie folgt:
Auf diese Weise erhält die Persönlichkeit eine fassbare Ausprägung, sodass Psychologen und Forscherinnen ein besseres Verständnis für die unterschiedlichen Persönlichkeiten entwickeln können. Das hilft auch dabei, Verhalten vorherzusagen. Wenn man beispielsweise weiss, dass jemand einen hohen Neurotizismus-Wert hat, kann das auf eine stärkere Anfälligkeit für Stress oder psychische Belastungen hinweisen. Therapeuten können dadurch gezieltere Interventionen planen.
Wie kann man die Persönlichkeit bestimmen?
Um die Persönlichkeit korrekt einschätzen zu können, kann entweder ein Test mit 10 bis 240 Fragen durchgeführt oder eine Auswertung von Wörtern oder anderen Hinweisen vorgenommen werden. Hier ein Beispiel eines Persönlichkeitsprofiles:
Die Auswertung ohne Persönlichkeitstest, nur anhand digitaler Spuren wird im Bereich der “Psychometrie” angewandt. Dafür sind eine bestimmte Menge Daten über uns erforderlich.
Wo sind diese Daten über uns am ehesten zu finden?
Richtig, auf Social Media. Die ersten psychometrischen Auswertungen auf Basis von Social-Media-Interaktionen wurden ab den frühen 2010er Jahren durchgeführt. Das bekannteste Beispiel der Analyse von digitalen Fussabdrücken bezieht sich auf das Projekt “MyPersonality” (2015). Es gelang dabei die Persönlichkeit von Versuchspersonen aufgrund ihrer Facebook-Likes gleich gut und teilweise sogar besser einzuschätzen als enge Freunde (Youyou, Kosinski, & Stillwell, 2014). Die Forscher verglichen die Einschätzungen von Freunden und Verwandten von rund 32’000 Teilnehmern mit Computeranalysen ihrer Facebook-Likes:
Je mehr Inhalte wir auf Facebook mit “Gefällt mir” markieren, desto besser kann die Software (oder auch Facebook selbst) unsere Persönlichkeit einschätzen. Bereits nach zehn Likes beurteilt der Computer uns im Durchschnitt genauer als Arbeitskollegen. Nach siebzig Likes liegt er genauer als Freunde und Mitbewohner. Nach 150 Likes schätzt er uns sogar besser ein als unsere Eltern und Geschwister.
Seither hat sich das Feld rasant weiterentwickelt und Social-Media-Daten sind heute eine wichtige Grundlage für psychometrische Analysen. Auch mithilfe von KI kann unsere Persönlichkeit effektiv eingeschätzt werden.
Wie kann KI unsere Persönlichkeit einschätzen?
Um unsere Persönlichkeit auszuwerten, benötigt die KI Informationen zu unserem Sprachgebrauch. Darin sucht sie nach Mustern und Hinweisen auf die fünf Dimensionen:
1) Textanalyse (Natural Language Processing, NLP):
KI kann geschriebene Texte, wie bspw. Social-Media-Posts, E-Mails oder Chatverläufe, auswerten.
Dabei erkennt sie die Wortwahl, die Satzstruktur und den Stil, um Rückschlüsse auf Eigenschaften wie Extraversion oder Gewissenhaftigkeit zu ziehen.
Ein Beispiel ist die Erkennung von Neurotizismus: Die KI analysiert Blogbeiträge oder Chatverläufe und findet häufig Wörter wie “gestresst”, “Sorgen”, “unsicher” oder “ängstlich”. Die häufige Verwendung emotionaler Ausdrücke sowie das Thematisieren von Stress oder Unsicherheit lassen auf eine höhere Ausprägung von Neurotizismus schliessen.
2) Video- und Sprachanalyse:
Das Gleiche funktioniert auch bei der verwendeten Sprache in transkribierten Videos oder Tonaufnahmen. Hierbei kann zusätzlich auf Mimik, Gestik, Stimmlage und Sprechtempo eingegangen werden.
Ein Beispiel ist die Tonfallanalyse: Wenn jemand lebhaft, laut und mit variabler Stimmlage spricht, lässt das auf eine hohe Extraversion schliessen.
3) Wearables und Sensoren:
Die von Fitness-Trackern oder Smartwatches erfassten Daten, wie Schlafmuster oder Aktivitätslevel, können ebenfalls von KI ausgewertet werden.
4) Social-Media-Verhaltensanalyse:
KI analysiert das Verhalten in digitalen Umgebungen, beispielsweise welche Inhalte geliked, geteilt oder kommentiert werden. Auch das Suchverhalten oder die Nutzung bestimmter Apps kann Hinweise auf Persönlichkeitsmerkmale liefern.
Ein Beispiel hierfür ist die kürzlich durchgeführte Studie “Full-scale Personality Prediction on VKontakte Social Network and its Applications”, die untersucht, wie genau sich Persönlichkeitsmerkmale und andere psychologische Eigenschaften aus digitalen Spuren im russischen sozialen Netzwerk VKontakte (VK) vorhersagen lassen.
Worum ging es in der Social Media Studie?
Die Forscher sammelten viele Daten von VK-Nutzern. Dazu gehörten Profilinformationen, Beiträge, Likes und Abonnements. Sie werteten diese Daten mit Big Five Skalen aus und nutzten KI-Modelle zur Vorhersage.
Sie fanden heraus, dass man Persönlichkeitsmerkmale aus Social-Media-Daten vorhersagen kann. Der emotionale Ton und die Themen der Beiträge passten zu bestimmten Big Five Merkmalen. Nutzer mit hoher Extraversion teilten oft positive Inhalte und waren sozial aktiver. Menschen mit hohem Neurotizismus teilten eher provokante Inhalte.
Die Forscher nutzten die Modelle für das Marketing und verglichen psychografische Profile von Markenfans (z. B. BMW vs. Mercedes-Benz)
Mithilfe dieser Methoden ist es möglich, Persönlichkeiten automatisiert und oft in grossem Massstab einzuschätzen. Diese Erkenntnis kann beispielsweise im Marketing genutzt werden. Bei der Wahl von Automarken haben Marketeers diese beispielsweise schon auf einer sogenannten “Limbic Map” eingeordnet. Mercedes steht eher für Balance, während BMW mit seinem sportlichen Image eher zur Kategorie Abenteuer/Thrill gehört.
Angewendet auf die Ausprägung der Big Five Merkmale könnte man folgende Annahmen treffen:
Gewissenhafte Menschen bevorzugen etablierte, zuverlässige Marken wie Mercedes-Benz.
Offene Menschen wählen eher innovative oder sportliche Marken wie BMW.
Verträgliche bevorzugen Marken, die zu ihren Werten passen und vertrauenswürdig sind wie VW.
Neurotische wählen sichere, bewährte Marken wie allenfalls Audi.
Und wie sieht es mit den Big Five und der KI-Nutzung aus?
Die Persönlichkeitsmerkmale der Big Five können die Wahrnehmung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz und anderen Technologien durch Menschen beeinflussen. Studien zeigen, dass insbesondere die Eigenschaft “Offenheit für Erfahrungen” häufig mit einer höheren Bereitschaft zur Nutzung neuer Technologien und KI-Systeme verbunden ist. Offenheit geht oft mit Neugier und Experimentierfreude einher, was die Akzeptanz und Nutzung von Innovationen begünstigt. Auch unsere Art zu prompten kann sich je nach Persönlichkeit hypothetisch unterschiedlich zeigen!
Gewissenhafte Menschen könnten strukturiertere und präzisere Prompts formulieren
Offene Menschen probieren eher kreative und ungewöhnliche Fragen aus
Extravertierte stellen häufig dialogorientierte Prompts, um Interaktion zu fördern
Verträgliche Personen wählen vermutlich höfliche Formulierungen
Personen mit hohem Neurotizismus prompten vorsichtiger, stellen viele Rückfragen oder äussern Unsicherheiten.
Erkenne dich selbst und bleibe sicher online!
Es ist wichtig, die eigene Prompt-Art zu reflektieren, da Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT darauf trainiert sind, möglichst hilfreiche und angenehme Antworten zu geben (Sycophancy, siehe Artikel 29). Wenn wir unreflektiert prompten, kann es sein, dass wir einseitige und nicht korrekte Antworten erhalten:
Einseitige, bestätigende Antworten
Verstärkung eigener Vorurteile
Fehlende kritische Rückfragen
Oberflächliche oder ungenaue Informationen
Geringerer Lerngewinn
Wie Reto Vogt in seinem neusten Artikel treffend sagte «Keine KI ist der Wahrheit verpflichtet, sondern bestenfalls der Wahrscheinlichkeit. Und schlimmstenfalls der voreingenommenen Daten, mit denen sie trainiert worden ist.» (dnip.ch, 2025)
Das bedeutet, dass KIs wie ChatGPT nicht objektiv oder neutral sind. Sie liefern Antworten, die auf Wahrscheinlichkeiten und den Trainingsdaten basieren. Diese können jedoch Vorurteile, Fehler oder einseitige Sichtweisen enthalten.
Umso wichtiger ist es deshalb, kritisch zu bleiben, die eigenen Fragen zu hinterfragen und verschiedene Perspektiven einzuholen, damit wir nicht nur das hören, was wir ohnehin schon denken oder erwarten.
Und noch ein letzter Gedanke für euch da draussen zum Mitnehmen:
Wenn eine KI deine Persönlichkeit aus unserer Schreibweise ableiten kann, welche subtilen Neigungen, welche Annahmen offenbaren oder verstärken wir dann vielleicht ganz unbewusst in unserer täglichen digitalen Kommunikation? In E-Mails, in Chats, in Posts?
Was meint ihr dazu?
Bis bald!
Jill
Referenzen
Rammstedt, B., C. J. Kemper, M. C. Klein, C. Beierlein, und A. Kovaleva. „Big Five Inventory (BFI-10)“. Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS), 2014. https://doi.org/10.6102/ZIS76.
PhD, Dr Silpaja Chandrasekar. „AI Unveils Psychological Traits: Analyzing Social Media Behavior on VK“. AZoAi, 12. März 2024. https://www.azoai.com/news/20240312/AI-Unveils-Psychological-Traits-Analyzing-Social-Media-Behavior-on-VK.aspx.
„Big Five (Psychologie)“. In Wikipedia, 9. Mai 2025. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Big_Five_(Psychologie)&oldid=255861430.
Park, Alice. „Here’s Proof That Facebook Knows You Better Than Your Friends“. TIME, 12. Januar 2015. https://time.com/3663775/facebook-likes-personality/.
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Enge, Jonas. „Kostenloser open-source BigFive Persönlichkeitstest“, 19. Oktober 2024. https://bigfive-test.com.
„(PDF) Full-Scale Personality Prediction on VKontakte Social Network and Its Applications“. In ResearchGate. Zugegriffen 31. Mai 2025. https://doi.org/10.23919/FRUCT48121.2019.8981513.
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Kosinski, Michal, David Stillwell, und Thore Graepel. „Private traits and attributes are predictable from digital records of human behavior“. Proceedings of the National Academy of Sciences 110, Nr. 15 (9. April 2013): 5802–5. https://doi.org/10.1073/pnas.1218772110.
watson.ch. „Warum Facebook nach 10 «Gefällt mir»-Angaben Ihre Persönlichkeit besser kennt als Ihr Chef – und nach 70 Likes besser als Ihre Freunde“. Zugegriffen 31. Mai 2025. https://www.watson.ch/!469874396.
Wuttke, Laurenz. „Was ist Natural Language Processing (NLP): Anwendung und Beispiele“. Datasolut GmbH (blog), 1. Mai 2024. https://datasolut.com/natural-language-processing-einfuehrung/.
„Vogt am Freitag: Manipulativ - Das Netz ist politisch“, 30. Mai 2025. https://dnip.ch/2025/05/30/vogt-am-freitag-manipulativ/.