#31 Lernen mit KI, geht das überhaupt?
Lernen wir überhaupt noch selbst etwas, oder lassen wir alle Dinge einfach von KI erledigen? Ein Blick in aktuelle Studien zu Lernen mit KI-Tools.
Kennt ihr das? Ihr studiert an dem richtigen Satz herum, aber es fällt euch einfach nichts Gescheites ein. Ihr fragt ChatGPT und erhaltet sofort fünf brauchbare Sätze und Formulierungen. Beim nächsten Mal studiert ihr gar nicht mehr lange, sondern gebt die Anfrage gleich bei ChatGPT ein. Bedeutet das, dass wir nun denkfaul werden? Oder kann es auch hilfreich sein, wenn wir gute Beispiele erhalten, die uns die richtige Antwort für das nächste Mal liefern?
Generative KI hat sich innerhalb kürzester Zeit vom Werkzeug für Technikbegeisterte zum Alltagsbegleiter für Millionen entwickelt. Schüler, Studenten, Fachkräfte und Hobby-Tüftler nutzen sie täglich. In den Medien sehe ich immer wieder Studien von Hochschulen zu diesem Thema. Einerseits befürworten Schulen wie die ETH den Einsatz von GenAI-Tools, setzen aber auf Transparenz und betonen Grundsätze wie Verantwortung und Fairness.
Eine Trendstudie der Fernhochschule Euro FH, die auf einer Befragung von 565 Studierenden basiert, zeigt, dass im Jahr 2024 bereits 75 % der Befragten textgenerative KI-Tools wie ChatGPT, Google Gemini oder Claude genutzt haben. Das ist ein starker Anstieg gegenüber dem Jahr 2023.
Die Mehrheit der Befragten sieht KI-Tools als nützliche Unterstützung, insbesondere bei der Recherche und der Textüberarbeitung. Gleichzeitig gibt es aber auch Sorgen: Viele Studierende befürchten, dass durch den KI-Einsatz die Schreibkompetenz und das eigenständige Denken leiden könnten. Nur eine Minderheit befürwortet die vollständige Automatisierung wissenschaftlicher Arbeiten.
Mit der zunehmenden Verbreitung von KI in der Hochschulbildung werden die kritischen Stimmen lauter. Insbesondere werden Bedenken hinsichtlich der Qualität der Lehre, des Datenschutzes und ethischer Aspekte geäussert. Die Autoren warnen vor einem zu unkritischen Umgang mit KI, da deren Schwachstellen oft erst im praktischen Einsatz sichtbar werden.
Was kann KI im Lernkontext? Können wir wirklich etwas lernen oder lagern wir das Denken nun aus?
Was spricht dafür, KI beim Lernen einzusetzen?
In einer Studie der Harvard University wurden Studierende eines Physikkurses entweder traditionell im Klassenzimmer oder individuell mit einem speziell entwickelten KI-Tutor unterrichtet. Dabei durchliefen die Gruppen jeweils beide Methoden und ihr Lernzuwachs wurde mit kurzen Tests gemessen.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Studierenden mit dem KI-Tutor mehr als doppelt so viel lernten und dafür weniger Zeit benötigten als im Präsenzunterricht. Zudem berichteten sie von höherer Motivation, grösserem Engagement und mehr Freude am Lernen:

Die Forschenden betonen, dass der KI-Tutor zu diesen deutlich besseren Lernergebnissen insbesondere durch seine individuelle, am Lernfortschritt orientierte Unterstützung beitrug. Sie sehen den Einsatz jedoch als Ergänzung und nicht als Ersatz für menschliche Lehrkräfte.
Eine weitere Studie („AI-powered personalized learning”) untersucht, wie KI-gestütztes, personalisiertes Lernen das Selbstvertrauen, die Motivation und die digitale Kompetenz chinesischer Erwachsener verbessert. Die Ergebnisse zeigen, dass KI-Lernsysteme die Erwartungen und den Wert des Lernens steigern. Dies führt zu mehr Motivation und besseren digitalen Fähigkeiten. Die Studie betont, dass KI die Erwachsenenbildung effektiver und motivierender machen kann.
Als Beispiel: Du möchtest Programmieren lernen, aber Schleifen sind schwer zu verstehen? ChatGPT erklärt sie dir mit Pizza-Bestellungen, Sportübungen oder Kochrezepten. Es verwendet Beispiele, die für dich passen. So werden schwierige Themen leichter verständlich.
Vielleicht hilft auch das Gefühl, anonym zu sein. In Meetings oder Vorlesungen trauen wir uns vielleicht nicht, gewisse Fragen zu stellen. Bei der KI herrscht jedoch eine „urteilsfreie Zone“, die auch psychologische Sicherheit gibt. Da können wir jede Frage stellen und daraus lernen.
Was spricht gegen das Lernen mit KI-Tools?
Während Harvard erfolgreiche Schüler feiert, zeigen Studien aus Bremen ein anderes Bild. KI-Nutzer schnitten in Prüfungen um 15 % schlechter ab als ihre Kommilitoninnen ohne KI-Hilfe. Der Grund? Sie hatten sich daran gewöhnt, dass die KI für sie denkt, was auch als „Kognitive Offloading“ bezeichnet wird.
Kognitives Offloading: Die Studie „Looking Beyond the Hype” warnt davor, dass die Nutzung von KI-Tools dazu führen kann, dass Menschen kognitive Aufgaben auslagern. Sie vernachlässigen dann eigene Fähigkeiten, wie kritisches Denken oder Problemlösen. Die Studie zeigt, dass dies zu einem Kompetenzverlust führen kann.
Kritisches Denken
Yizhou Fans et al.’s Studie (2024) untersucht, wie künstliche Intelligenz (KI) das kritische Denken von Studierenden beeinflusst. Sie zeigt, dass KI-gestützte Lernmethoden kritisches Denken fördern können. Dies geschieht durch persönliches Feedback, angepasste Lernwege und interaktive Aufgaben. Der positive Effekt hängt jedoch stark von der KI-Nutzung und der Unterrichtsgestaltung ab.
Die Studie betont: KI ist kein Ersatz für menschliche Unterstützung. Sie ist ein Werkzeug, das gezielt eingesetzt werden muss, um kritisches Denken nachhaltig zu verbessern.
Hier sind die Vor- und Nachteile des Lernens mit KI noch einmal als Aufstellung zusammengefasst:
KI-Tools helfen uns beim Lernen, wenn wir sie als Sparring-Partner einsetzen:
Schrittweise durch den Stoff gehen
Problemorientierte Prompts geben
Feedback-Schleifen einbauen
Zuerst selber versuchen die Lösung zu finden
KI ist schlecht fürs Lernen, wenn sie als Abkürzung dient:
Komplettlösungen ohne Mitdenken
Gedankenlos Copy-Pasten
Quellenangaben vertrauen, ohne doublechecken
Kritisches Hinterfragen vernachlässigen
Nun was jetzt? Lernen mit oder trotz KI?
Ja, wir können mit KI effektiver lernen, aber wir müssen aktiv bleiben!
➔ KI ist ein guter Sparringspartner zum Lernen. Sie gibt schrittweises Feedback und problemorientierte Anregungen. Auch Reflexionsschleifen und eigene Lösungsversuche sind wichtig.
➔ Schlecht für das Lernen ist KI als Abkürzung. Komplettlösungen ohne eigenes Denken sind kontraproduktiv. Copy-Paste und fehlende Quellenkritik schaden unserem Lernerfolg.
Für Unternehmen, Schulen und E-Learning-Teams bedeutet das:
Falls ihr als Unternehmen euch überlegt habt die interne Weiterbildung mit KI anzureichern, hier ein paar Tipps:
Investieren? Ja unbedingt! Aber didaktisch durchdacht. KI-Tools sollten Szenarien darstellen, in denen die Lernende aktiv antworten müssen, Begründungen liefern und Fehler reflektieren
Der Aufbau von Kompetenzen im Prompt-Design und in der Bewertung der Ergebnisse ist obligatorisch
Lernziele müssen messbar sein und mehr als nur das Ergebnis betrachten. Der Transfer, die Selbstwirksamkeit und das kritische Denken müssen in jede Bewertung einfliessen.
Die Herausforderung liegt nicht darin, ob wir KI nutzen. Wir tun es schon lange.
Die Frage betrifft die Art unserer Nutzung. Unternehmen, Schulen und Einzelpersonen müssen lernen, KI didaktisch sinnvoll einzusetzen.
Was denkt ihr dazu?
Bis bald!
Jill
Quellen:
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„Umfassende Studie zeigt: Mehr als die Hälfte verbessert Lern- und Prüfungsergebnisse durch KI“. Zugegriffen 16. Mai 2025. https://nachrichten.idw-online.de/2025/01/21/umfassende-studie-zeigt-mehr-als-die-haelfte-verbessert-lern-und-pruefungsergebnisse-durch-ki.
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Ein sehr guter Artikel. Ich komme selbst ursprünglich aus dem Schul-Umfeld und kann leider nur sagen, dass man dort nicht auf KI vorbereitet ist. Aktuell wird immer noch mehr Fokus darauf gesetzt "Betrug zu vermeiden", sicherzustellen, dass niemand KI verwendet um Arbeit zu sparen oder Ähnliches. Tatsächlicher Umgang mit KI kommt, zumindest nach dem was ich mitbekomme, viel zu kurz. Das Bildungssystem ist da leider sehr träge. Bleibt zu hoffen, dass man sich dem nicht allzu lange verschließt.