#16 Deceptive Patterns: Manipulation by Design
Hast du dich jemals gefragt, warum manche Websites dich dazu bringen, mehr Informationen preiszugeben oder Käufe zu tätigen, die du eigentlich nicht wolltest? Dies könnte an sogenannten Deceptive Patterns (älterer Ausdruck Dark Patterns) liegen.
Der Begriff wurde 2010 von dem UX-Designer (Experte für die Gestaltung nutzerfreundlicher und angenehmer digitaler Erlebnisse) Harry Brignull geprägt, der Deceptive Patterns definiert als:
„eine Benutzeroberfläche, die sorgfältig darauf ausgelegt ist, Benutzer dazu zu verleiten, Dinge zu tun, wie zum Beispiel eine Versicherung zu ihrem Kauf hinzuzufügen oder sich für wiederkehrende Zahlungen anzumelden“
Deceptive Patterns sind manipulative Designentscheidungen, die darauf abzielen, das Verhalten der Nutzer zu beeinflussen – oft auf eine Weise, die deren eigenen Interessen widerspricht.
Brignull vergleicht diese Täuschungsmanöver mit einem Netz, in das Unternehmen die „Fische“ leichter einfangen können, anstatt sie zu fragen, ob sie nicht freiwillig hineinspringen möchten.
Viele Unternehmen verlieren vor lauter Wachstumsplänen, Grafiken und Statistiken den Blick dafür, dass hinter den Zahlen echte Menschen stehen, die sie mit ihren fragwürdigen Strategien beeinflussen.
Quelle: https://www.deceptive.design/book#deck.
Für wen ist dieser Artikel?
Dieser Artikel ist für alle, die:
Sich dafür interessieren, wie Designentscheidungen ihr Verhalten beeinflussen können.
Sich vor manipulativen Online-Praktiken schützen und einen kritischen Blick auf digitale Angebote entwickeln möchten.
Den Wahrheitsgehalt von Online-Inhalten effektiv überprüfen wollen.
Im Alltag besser abgesichert sein und potenzielle Risiken wie Betrug oder Sicherheitslücken frühzeitig erkennen möchten.
Einen Einblick in die psychologischen Mechanismen hinter digitalen Anwendungen erhalten möchten.
Kennst du das Gefühl, wenn du versuchst, ein Abonnement bei einem Online-Dienst wie Amazon zu kündigen, aber nach stundenlangem Durchklicken immer noch nicht am Ziel bist? Vielleicht hast du sogar eine Anleitung auf Wikipedia benötigt, um den Prozess zu verstehen?!
Das kann es doch nicht sein, oder? In diesem Artikel erfährst du, wie du solche manipulativen Designmuster erkennst und welche Lösungsansätze es gibt, um dich zu schützen.
Typische Erscheinungsformen von Deceptive Patterns
1. Ausnutzung von Wahrnehmungsschwächen: Wichtige Informationen werden in kleiner Schrift oder kaum erkennbaren Farben dargestellt, um sie zu verstecken. Ein Beispiel ist ein Anmeldeformular, bei dem der Hinweis auf monatliche Abo-Kosten in derselben Farbe wie der Hintergrund gehalten ist.
2. Ausnutzung von Verständnis-Schwächen: Durch komplizierte Ausdrucksweisen oder juristisches Fachchinesisch wird es schwierig gemacht, die tatsächlichen Bedingungen zu verstehen.
Quelle: https://www.deceptive.design/book#deck.
3. Ausnutzung von Entscheidungs-Schwächen: Vorselektierte Checkboxen oder voreingestellte Optionen beeinflussen unsere Entscheidungen unbemerkt. Ein Beispiel sind Cookies, die alle Tracking-Optionen bereits aktiviert haben:
Quelle: https://transcend.io/blog/dark-patterns-cpra
4. Ausnutzung von Erwartungen: Elemente werden bewusst so gestaltet, dass sie unseren üblichen Erwartungen widersprechen. Zum Beispiel ist der bevorzugte Button („ich möchte meine Privatsphäre schützen“-Button) normalerweise hervorgehoben. Wenn jedoch plötzlich der „Ich will alle meine Daten hier angeben„-Button rechts und auffällig platziert ist, kann dies zu unbeabsichtigten Klicks führen.
Quelle: https://www.osano.com/articles/dark-pattern-examples
5. Ressourcenerschöpfung und Druck: Lange und ermüdende Texte, oder wie im folgenden Beispiel ständiges Nachfragen („Nagging“), führen dazu, dass Nutzer irgendwann nicht mehr mögen und einfach zustimmen, um den Prozess zu beenden. Dabei dienen Push-Meldungen, aber auch das rote Notification-Zeichen als Instrumente. Diese verschwinden erst wieder, wenn man die gewünschte Aktion ausgeübt hat und lösen ansonsten beim Sehen leichten Stress aus, da es noch etwas Unerledigtes gibt.
Quelle: https://www.deceptive.design/book#deck.
6. Erzwingen und Blockieren: Bestimmte Aktionen werden erschwert oder blockiert. Beispielsweise kann man seinen Account bei bestimmten Diensten nicht löschen, ohne auch verbundene Dienste zu löschen. Ein Beispiel ist das „Roach Motel“ bei Amazon, wo es einfach ist, sich anzumelden, aber kompliziert, das Konto wieder zu schliessen.
Quelle: https://www.fyresite.com/dark-patterns-a-new-scientific-look-at-ux-deception/
7. Ausnutzung emotionaler Schwächen: Durch Confirmshaming werden Nutzer emotional manipuliert. Ablehnungen werden mit negativen Formulierungen versehen, wie „Nein, ich möchte ungesund weiterleben“ bei Fitness-Angeboten oder „Nein, ich will das Risiko eingehen, alles zu verlieren“ bei Reiseversicherungen.
Quelle: Confirmsharing, aurigate.com
8. Ausnutzung von Sucht: Funktionen wie unendliches Scrollen (Infinite Scrolling) sorgen dafür, dass wir länger auf Plattformen verweilen, als wir eigentlich möchten.
Quelle: https://www.deceptive.design/book#deck.
Zudem gibt es einige weitere weit verbreitete Taxonomien, wie die folgende Kategorisierung basierend auf Gray et al., 2018:
Quelle: Masterdigitaldesign.com
Teils kann keine eindeutige Zuordnung gemacht werden und es gibt auch Überschneidungen!
Psychologische Mechanismen hinter Deceptive Patterns
Deceptive Patterns nutzen Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie, um unser Verhalten gezielt zu beeinflussen. Hier einige der zugrunde liegenden Mechanismen:
Default Bias: Menschen neigen dazu, voreingestellte Optionen nicht zu ändern. Deshalb werden oft unerwünschte Optionen vorausgewählt, in der Hoffnung, dass der Nutzer sie nicht abwählt. Warum akzeptieren so viele Menschen ohne nachzudenken die Cookie-Richtlinien? Die Antwort liegt im Default Bias – es ist einfacher, die voreingestellten Optionen zu akzeptieren, als sich durch komplizierte Einstellungen zu klicken.
Verlustaversion: Die Angst, etwas zu verlieren, ist oft stärker als die Freude, etwas zu gewinnen. Dies wird ausgenutzt, indem beispielsweise künstliche Knappheit erzeugt wird („Nur noch 2 Zimmer verfügbar!“), um uns zu schnellen Entscheidungen zu drängen.
Sozialer Druck: Hinweise wie „100 Personen sehen sich dieses Angebot gerade an“ suggerieren, dass ein Produkt beliebt ist und wir es auch wollen sollten.
Wie gewisse Biases den Deceptive Patterns zugeordnet werden können, kann dem Screenshot am Ende des Beitrages entnommen werden.
Die vertiefte Ausführung von kognitiven Verzerrungen wäre aber nochmals ein Artikel für sich, das muss auf ein nächstes Mal warten. Eine geniale Übersicht findet ihr jedoch schon einmal hier:
Deceptive Patterns und der angerichtete Schaden
Deceptive Patterns sind nicht nur ärgerlich, sie können auch echten Schaden anrichten. Hier ein etwas überzogenes Beispiel, wie Deceptive Pattern die fiktive Lisa in einem Tag begleiten könnten:
Lisa wacht morgens auf und aktiviert auf dem Arbeitsweg unbemerkt ein teures Fitness-Abo durch eine irreführende Checkbox. Nach erfolglosen Versuchen, das Abo zu kündigen, gibt sie frustriert auf.
Später gibt sie aus Zeitmangel bei einem Shoppingportal unbewusst ihre persönlichen Daten preis, weil sie einfach alle präselektierten Checkboxen aktiviert lässt.
In der Mittagspause mag sie die Anfragen auf ihrem Iphone nicht mehr ablehnen, darum erlaubt endlich Siri auf all ihre Apps.
Am Nachmittag akzeptiert sie genervt alle Cookies einer Webseite, um weitersurfen zu können.
Abends fügt sie beim Flugbuchen eine unnötige Reiseversicherung hinzu, weil die Ablehnung so formuliert ist, dass sie sich schämt, abzulehnen.
Ohne es zu merken, war sie den ganzen Tag Deceptive Patterns ausgesetzt – diese haben ihr Zeit, Geld und das Gefühl der Kontrolle genommen.
Deceptive Patterns können uns in folgenden Formen schaden:
Finanziell: Ungewollte Abonnements oder Käufe
Zeitverschwendung: Abo-Kündigung, aus Mailinglisten abmelden
Unabsichtliche Vertragsabschlüsse
Verlust von Privatsphäre: Sammlung persönlicher Daten
Psychologische Belastung: Stress, Schamgefühle, Druck, Überforderung
Einschränkung der Entscheidungsfreiheit: Autonomie wird untergraben!
Darüber hinaus haben Deceptive Patterns auch negative Auswirkungen auf den Markt insgesamt.
Intransparente Preise erschweren den Vergleich von Angeboten, und Verbraucher werden durch forcierte Abonnements oder komplizierte Kündigungsprozesse an Unternehmen gebunden.
Wie können wir uns schützen?
Es ist wichtig ist, das Bewusstsein für Deceptive Patterns zu erhöhen, aber aktuelle Ansätze reichen nicht aus. Initiativen wie die Förderung von „Bright“ oder „Fair Patterns“ sind zwar gut gemeint, aber oft nicht effektiv, da sie häufig nicht die gleiche Aufmerksamkeit und Durchsetzungskraft wie manipulative Designs erhalten.
Quelle: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-031-61089-9_7
Was eher als nützlich erachtet wird, ist Naming & Shaming – das öffentliche Anprangern von Unternehmen, die Deceptive Patterns einsetzen. Wie im folgenden Beispiel, in dem Alexa auf Twitter postete, wie die Preise bei Airbnb plötzlich von USD 198.- auf USD 413.95 anstiegen:
Quelle: https://www.deceptive.design/book#deck.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Nutzer die Deceptive Patterns erkennen und bereit sind, diese öffentlich zu machen, beispielsweise auf Social Media.
Harry Brignull selbst betreibt einen Kanal auf LinkedIn, auf dem er regelmässig problematische Praktiken von Unternehmen teilt, die Personen mit ihm teilten. Das Gleiche macht er auf X und auf seiner Webseite gibt es die Hall of Shame der Deceptive Patterns.
Es wird auch dazu aufgerufen, dass mehr Regulierung nötig ist. Beispielsweise zeigt Airbnb in England die Preise transparent inklusive aller Gebühren an, während in anderen Ländern der Preis erst beim Kauf erheblich ansteigt:
Quelle: https://www.deceptive.design/book#deck.
Als Nutzer können wir:
Aufmerksam sein: Webdesigns hinterfragen,Kleingedrucktes lesen
Bewusst Zeit nehmen: Voreinstellungen prüfen, Unerwünschtes abwählen
Andere warnen!: Manipulatives mit Umfeld, in sozialen Netzwerken teilen
Rechtliche Situation in der Schweiz
In der Schweiz sind Deceptive Patterns teilweise durch bestehende rechtliche Bestimmungen erfasst. Wesentliche Regelungen finden sich in der Bundesverfassung und im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG):
Verfassungsrecht: Deceptive Patterns greifen in die Privatautonomie ein, die durch Grundrechte wie die Menschenwürde und persönliche Freiheit geschützt wird. Anbieter müssen sich an faire Marktregeln halten, auch wenn sie sich auf die Wirtschaftsfreiheit berufen.
UWG: Dieses Gesetz schützt den fairen Wettbewerb. Deceptive Patterns können unter das Irreführungsverbot fallen, etwa bei versteckten Kosten oder falschen Countdown-Anzeigen. Aggressive Verkaufsmethoden, die durch übermäßigen Druck oder Zwang gekennzeichnet sind, sind ebenfalls unzulässig. Allerdings sind Deceptive Patterns nicht direkt erfasst.
Datenschutzrecht: Deceptive Patterns, die personenbezogene Daten betreffen, können gegen das Datenschutzgesetz (DSG) verstossen. Wichtig ist hier die Einhaltung von Grundsätzen wie Verhältnismässigkeit und Transparenz bei der Datenbearbeitung. Das DSG erlaubt es, bei Verstössen Massnahmen zu ergreifen, etwa durch den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten.
Der Bundesrat geht davon aus, dass bekannte und auch neue Deceptive Patterns durch das geltende Recht erfasst werden, auch wenn diese Bestimmungen nicht primär auf Deceptive Patterns abzielen. Er sieht aus datenschutzrechtlicher Perspektive keinen speziellen Handlungsbedarf im Umgang mit Deceptive Patterns.
Europäische Union
In der EU sind Deceptive Patterns bereits Gegenstand von Regulierungen:
Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) verbietet irreführende und aggressive Geschäftspraktiken.
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der Digital Markets Act (DMA) enthalten Bestimmungen zu manipulativen Praktiken.
Mit dem Digital Services Act (DSA) wurde für Anbieter von Online-Plattformen ein Verbot von Deceptive Patterns eingeführt.
Diese Entwicklungen zeigen, dass das Thema international an Bedeutung gewinnt und rechtlich adressiert wird.
Fazit: Warum Deceptive Patterns uns alle betreffen
Deceptive Patterns sind nicht nur ein Designproblem – sie zeigen, wie eng Technologie und Psychologie miteinander verwoben sind, um unser Verhalten zu beeinflussen. Sie betreffen uns alle, da wir täglich mit digitalen Plattformen interagieren. Es ist wichtig, sich dieser manipulativen Praktiken bewusst zu sein und kritisch zu hinterfragen, wie wir online interagieren.
Es liegt an uns, informiert zu bleiben und bewusst zu entscheiden. Gleichzeitig sind Unternehmen und Gesetzgeber gefordert, transparente und faire Praktiken zu fördern und manipulative Designs zu unterbinden.
Was wir tun können, ist wachsam zu bleiben und Deceptive Patterns, wenn sie uns auffallen, publik zu machen – zum Beispiel indem wir sie beim Bund und auch bei Personen wie Harry Brignull melden, der eine entsprechende Plattform betreibt und unser Umfeld darüber informieren.
Challenge:
Was wäre ein Beitrag ohne Challenge
Wie viele Deceptive Patterns fallen dir in der nächsten Woche auf? Teile deine Erfahrungen und hilf dabei, das Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu schärfen.
Ich habe schon einige gefunden, ohne lange gesucht haben zu müssen.
Apple gibt mir keine wirkliche Möglichkeit, aus dem Kauf eines iCloud-Abos auszusteigen. Wie nett – es gibt ein „Ja – Upgraden“ oder „Später“ zur Auswahl.
Aliexpress erzeugt falschen Zeitdruck mit ihrem Countdown und Anpreisung von nur für kurz verfügbaren Rabatten!
Auf Booking findet man Etliche. „Nur noch 7 Räume verfügbar“ (von wie vielen insgesamt – 7 ?), „nur für „Zeitlich begrenztes Angebot“, „40% sparen“, durchgestrichene Zahlen, um Rabatte zu verdeutlichen.




Nimmt mich wunder, wie viele Deceptive Pattern euch von nun an, auf euren bevorzugten Plattformen, auffallen !
Bis bald 🚀
Jill
Referenzen
Harry Brignull, „Deceptive Patterns – Buy The Book and the Educator Slide Deck“. Zugegriffen 7. Oktober 2024. https://www.deceptive.design/book#deck.
Mathur, Arunesh, Gunes Acar, Michael J. Friedman, Elena Lucherini, Jonathan Mayer, Marshini Chetty, und Arvind Narayanan. „Dark Patterns at Scale: Findings from a Crawl of 11K Shopping Websites“. Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction 3, Nr. CSCW (7. November 2019): 1–32. https://doi.org/10.1145/3359183.
Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesrat, „Dark Patterns. Das Unbekannte dokumentieren.“, 2022, https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/88176.pdf
Schlosser, Dan. „LinkedIn Dark Patterns“. Medium (blog), 9. Juni 2015. https://medium.com/@danrschlosser/linkedin-dark-patterns-3ae726fe1462.
The Cognitive Bias Codex – 180+ biases, designed by John Manoogian III (jm3).png: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cognitive_bias_codex_en.svg
Cognitive Biases und Deceptive Pattern:
Quelle: https://doi.org/10.1145/3359183.