#7 Propaganda und Medienpsychologie: Entscheidendes Wissen für die Volksabstimmung
Bald stehen in der Schweiz wieder Volksabstimmungen an. Hast du bereits deinen Brief eingereicht?
Am 9. Juni steht in der Schweiz wieder Volksabstimmung an. Hast du bereits deinen Brief eingereicht? Welche Wahl hast du getroffen und wie bist du zu deiner Entscheidung gekommen? Hast du dich umfassend informiert? Bist du sicher, dass deine Entscheidung völlig objektiv war, oder könnte vielleicht doch eine unbewusste Beeinflussung im Spiel gewesen sein?
In diesem Beitrag:
Teil I: Was ist Wahrheit und ist sie wichtig beim Abstimmen?
Teil II: Was ist Information Overload und effektive Massnahmen dagegen
Teil III: Erkenne diese 12 Manipulationstechniken!
Zudem: Zahlreichen praktischen Beispiele wie Cambridge Analytica eine Wahlkampagne manipulierte und warum wir öffentliche Hinrichtungen nicht weiter teilen sollten!
Ich persönlich versuche mich jeweils möglichst umfassend zu informieren. Das bedeutet natürlich auch Zeit zu investieren. Dennoch fühle ich mich gerade vor den Abstimmungen teils so stark bombardiert mit Meinungen und Artikeln. Darum weiss am Schluss oft gar nicht mehr was nun das Richtige ist und was nicht.
Da fragt man sich; gibt es das überhaupt beim Abstimmen, das „Richtige“?
Teil I Abschaffung der Wahrheit?
Diese Frage stellt sich auch Karig Friedmann in seinem Vortrag „Die Abschaffung der Wahrheit“. Er beschreibt wie wir uns zwischen dem heterodoxen Wissen, das nur ein Teil der Menschen glaubt und dem orthodoxen Wissen, welches die Mehrheit glaubt befinden.
Heterodox: Beispielsweise glaubt nur ein Teil der Bevölkerung an „Chemtrails“. Daran, dass die am Himmel sichtbaren Kondensstreifen von Flugzeugen gefährliche Chemikalien versprühen.
Orthodox: Bei den Geschehnissen am 11. September 2001 glaubt die Mehrheit daran, dass es sich um Terroranschläge handelte. Das heisst, es konnte mehrheitlich ein Konsent gefunden werden.
Es ist nicht immer klar, was wahr oder falsch ist. Oft ist das, was wir für wahr halten, von der allgemeinen Meinung abhängig, weil wir nicht alle Fakten selbst überprüfen können. Manchmal ist die allgemeine Übereinstimmung wichtiger als die absolute Wahrheit.
Also Wahrheit ist nicht so wichtig?
Als Lösung schlägt Karig vor, dass wir die Wissenschaftskompetenz in der Allgemeinheit fördern und klare Grundlagen durchgesetzt werden sollten bei der „Ethik des Teilens“.
Ethik des Teilens heisst, frage dich bewusst: Muss das wirklich weiter geteilt werden?
Das bedeutet, dass wir auf den sozialen Medien zwei Mal überlegen, was wir posten, kommentieren und mit „gefällt mir“ markieren. Auch das Teilen von ethisch fraglichen Inhalten kann zerstörerische Auswirkungen haben.
Stell dir folgendes Beispiel vor: Öffentliche Hinrichtungen, die bewusst gefilmt werden und online gestellt werden, werden aufgrund ihres „krassen“ Inhaltes schnell verbreitet. Obwohl sie schrecklich sind, liegt es ebenfalls im Kalkül der durchführenden Gruppierung, dass diese Horror-Aufnahmen geteilt werden und somit kostenlose „Public Relations“ (PR) für ihre Sache bedeuten.
(Schaut doch einmal den Vortrag „die Abschaffung der Wahrheit“ bei Gelegenheit, sehr spannend!)
Teil II Information Overload
So viele Informationen! Habe ich Information Overload?
Überall Abstimmungshefte, Flyer, Medienbeiträge und auf LinkedIn ein polarisierender Artikel, den alle liken. Dann ein YouTube-Video, das eine grüne Politikerin, die eigentlich etwas Sinnvolles sagte, schlecht macht. Im Internet gibt es zu jedem Thema hunderte Artikel. Besonders vor Wahlen wird richtig Stimmung gemacht. So lande ich nach einer kurzen Google-Suche schnell in einem Informationsstrudel, und ehe ich mich versehe, ist es zwei Uhr morgens und ich sitze tief „down the rabbit hole“.
2 Uhr nachts: Entscheidung ausstehend, vor lauter Informationen brummt der Kopf.
Information Overload: Dieser psychologische Effekt tritt auf, wenn du mehr Informationen erhältst, als du verarbeiten kannst. Die Folge ist Überforderung, die zu Entscheidungsunfähigkeit oder zu geringerer Fähigkeit Informationen zu verarbeiten.
Vier Tipps, wie du mit Informationsüberflutung umgehen kannst
Effiziente Suche: Nutze prägnante Suchbegriffe, um relevante Informationen schneller zu finden. (Tipp: „So findest du ALLES bei Google“)
Sofortige Bewertung: Wer ist die Quelle der Information? Was ist deren Motiv? Gibt es vielleicht eine Bias oder eine Agenda hinter der Nachricht? (Buchtipp: „May Contain Lies“ Alex Edmans).
Priorisierung: Entscheide bewusst, welche Informationen Kernthemen sind oder ignoriert werden sollen.
Zeitbegrenzung: Definiere feste Zeiten für die Informationssuche und -Verarbeitung.
Teil III Psychologische Tricks und Manipulation
Es liegt nicht ausschliesslich an Informationsüberflutung, dass unsere Entscheidungen nicht wirklich die unsrigen sein könnten.
Als Beispiel fiel mir ein Artikel auf über die Steuerbelastung von kulturellen Instituten, wie das Schauspielhaus, Oper, etc. Diese werden subventioniert mit hohen Millionenbeträgen heisst es. Auf der anderen Seite berichten Medien darüber, dass uns das Geld fehlt an allen Ecken und wir nun mehr zahlen müssen für die Bereitschaft der Armee, oder die Prämien-Initiative. Medienberichte sind teils überrissen, oder verwenden absichtlich negative Tonalitäten, um uns zu beeinflussen.
Wie wurde ein Land manipuliert? Fallbeispiel Cambridge Analytica Wahlskandal
“We exploited Facebook to harvest millions of people’s profiles. And built models to exploit what we knew about them and target their inner demons. That was the basis the entire company was built on.”
Christopher Wylie, theguardian.com
2014 erschütterte der Cambridge Analytica Skandal die Vereinigten Staaten. Ein Whistleblower deckte auf, wie Millionen von Facebook-Nutzern analysiert und kategorisiert wurden. Diese intimen Einblicke in ihre Persönlichkeiten wurden dann verwendet, um massgeschneiderte Werbung zu gestalten, die gezielt auf diese Nutzenden abgestimmt war.
Beispiel: Umsetzung der Werbung für Persönlichkeit „Extraversion“ der Big Five Persönlichkeitsskala:
Menschen mit einer hoher Extraversion neigen dazu, energisches und entschlossenes Handeln zu bewundern. Darum wurde in der Anzeige die Botschaft über die Ausprägung „um „Leadership“ vermittelt.
Die gleiche Kernaussage wurde anders verpackt für Personen mit hoher Ausprägung in „Verträglichkeit“. Hier wurden Werbefilme gezeigt mit dem Titel „Eine sicherere Welt für unsere Kinder“, um die sozialen Aspekte der Botschaft zu nutzen und zu betonen.
(Den Netflix Film dazu konnte ich noch nicht schauen, aber er hat eine gute Bewertung: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Great_Hack)
Entscheidendes Wissen für Wähler:
12 Psychologische Effekte, die eine Abstimmung beeinflussen
Beim Konsum von Medien, besonders vor Abstimmungen oder bei hitzigen politischen Debatten, ist es wichtig, sich der folgenden Effekte bewusst zu sein, um Manipulationen zu erkennen und kritisch zu hinterfragen:
1 Bestätigungsfehler
Neigung, Informationen zu bevorzugen, die die eigenen Überzeugungen bestätigen.
2 Verfügbarkeits-Heuristik
Tendenz, dass leicht verfügbare und markante Informationen die Einschätzungen von Wahrscheinlichkeiten beeinflussen.
3 Echo-Kammern / Filterblasen
Umgebungen, in denen Individuen nur Meinungen und Informationen ausgesetzt sind, die ihren eigenen Ansichten entsprechen.
4 Polarisierung
Verstärkung extremer Meinungen in Gruppen durch gleichartige Informationen.
5 Framing und Nudging
Präsentation von Informationen in einer Weise, die spezifische Reaktionen oder Entscheidungen hervorruft.
6 Desinformation, digitale Manipulation und AI-Inhalte
Verbreitung von bewusst falschen oder irreführenden Informationen.
7 Propaganda
Gezielte Verbreitung von politischen Botschaften, um öffentliche Meinung zu beeinflussen oder in eine bestimmte Richtung zu steuern
8 Aufmerksamkeitsöko-nomie
Wettbewerb um Aufmerksamkeit, in dem Inhalte, die emotionale oder schockierende Reaktionen hervorrufen, bevorzugt werden.
9 Simplifizierung und Sensationalismus
Reduktion komplexer Themen auf einfache, oft sensationelle Nachrichten.
10 Groupthink
Tendenz in Gruppen, die generelle Harmonie über rationale Beweisführung zu stellen – Individuen passen ihre Meinung an den Rest an.
11 Intergroup Bias / Entmenschlichung
Vorurteile und Stereotypisierung, bei denen Menschen, die als Teil einer anderen Gruppe wahrgenommen werden, abgewertet und ihnen menschliche Qualitäten abgesprochen werden.
12 Illusory Truth Effect
Wiederholte Aussagen werden als wahr akzeptiert, unabhängig von ihrer Faktizität.
Lösung aller Dinge? Critical Thinking!
Um diese Effekte zu vermeiden und sich gegen mögliche Manipulationen zu schützen, ist es wichtig, kritisches Denken zu beherrschen. Wie das geht erklärt Mailab sehr gut in ihrem Video:
Sie nennt 5 wichtige Punkte:
Eine Annahme muss prinzipiell widerlegbar sein (wir müssen Gegenargumente suchen und die Annahme so testen)
Stelle alle möglichen Annahmen auf und versuche sie zu widerlegen (prüft euren eigenen Standpunkt!)
Hänge nicht so sehr an deiner persönlichen Annahme (bleibe offen für Gegenansicht) Ockhams Rasiermesser, Logikprinzip: Unnötiges wegschneiden!
Wenn zwei zutreffen = die einfachere Lösung nehmen
Quantifiziere wenn möglich! Gibt es Zahlen, Messbarkeiten? Diese müssen hinzugezogen werden!
Kritisches Denken anhand von Praxis-Beispielen:
Punkt 1:
Annahme: „Kandidat A wird die Umweltgesetzgebung verbessern.“
Suche nach Beweisen oder Gegenargumenten, die diese Annahme stützen oder widerlegen, wie z.B. frühere Abstimmungsverhalten oder öffentliche Erklärungen des Kandidaten.
Punkt 2:
Annahme A: „Kandidat B ist gegen Einwanderung.“
Annahme B: „Kandidat B unterstützt integrative Massnahmen für Einwanderer.“
Recherchiere beide Annahmen durch Lesen von Interviews, Reden und politischen Positionspapieren des Kandidaten, um herauszufinden, welche der Annahmen besser belegt ist.
Punkt 3:
Persönliche Annahme: „Partei C wird die Steuern für die Mittelschicht senken.“
Überprüfe diese Annahme durch das Studium des Wahlprogramms der Partei und unabhängiger Analysen, und sei offen dafür, dass die Partei vielleicht andere Prioritäten hat.
Punkt 4:
Situation: Es gibt zwei mögliche Erklärungen für die Popularität eines bestimmten Referendums: a) Medienberichterstattung hat es positiv dargestellt, b) es entspricht den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung.
Wenn keine eindeutigen Beweise für die Medienwirkung vorliegen, könnte die einfachere Annahme, dass das Referendum die Bedürfnisse der Bevölkerung widerspiegelt, die plausiblere sein.
Punkt 5:
Annahme: „Die Unterstützung für das Referendum X ist im Laufe der Zeit gewachsen.“
Überprüfe Wahlumfragen und Statistiken über die Zeit, um zu sehen, ob die Daten eine Zunahme der Unterstützung zeigen und quantifiziere diese Veränderung.
Das war jetzt ein bisschen viel 😊
Recap:
Hier die drei wichtigsten Handlungsempfehlungen noch einmal in Kürze:
Teil I: Effektive Informationssuche und -bewertung: Nutze präzise Suchbegriffe, um schnell relevante Informationen zu finden. Bewerte kritisch die Quelle und deren Motive. Frage dich stets: „Was ist das Ziel dieser Information? Gibt es eine verborgene Agenda?“.
Teil II: Vermeide Informationsüberflutung: Setze klare Grenzen für deine Informationssuche. Definiere feste Zeiten, wann und wie lange du dich informierst, um Überforderung zu vermeiden. Konzentriere dich dabei auf die für dich wichtigsten Themen.
Teil III: Entwickle kritisches Denken: Hinterfrage stets die Annahmen hinter den Informationen und versuche deine Annahmen zu widerlegen. Nutze logische Überlegungen wie Ockhams Rasiermesser, um die einfachste plausible Erklärung zu wählen, und versuche, wenn möglich, Annahmen durch quantifizierbare Daten zu überprüfen.
Und wie stimmt ihr nun ab?
Bis bald! 🚀
Jill
Referenzen
Die Abschaffung Der Wahrheit. re:publica, 2015, https://av.tib.eu/media/31833
Karig, Friedemann. “Terrorbilder im Netz: Teile und herrsche.” Krautreporter, February 10, 2015. https://krautreporter.de/aus-dem-archiv/384-terrorbilder-im-netz-teile-und-herrsche.
Arnold, Miriam, Mascha Goldschmitt, and Thomas Rigotti. “Dealing with Information Overload: A Comprehensive Review.” Frontiers in Psychology 14 (June 21, 2023): 1122200. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2023.1122200.
Cadwalladr, Carole, and Emma Graham-Harrison. “Revealed: 50 Million Facebook Profiles Harvested for Cambridge Analytica in Major Data Breach.” The Guardian, March 17, 2018, sec. News. https://www.theguardian.com/news/2018/mar/17/cambridge-analytica-facebook-influence-us-election.
Hern, Alex. “Cambridge Analytica: How Did It Turn Clicks into Votes?” The Guardian, May 6, 2018, sec. News. https://www.theguardian.com/news/2018/may/06/cambridge-analytica-how-turn-clicks-into-votes-christopher-wylie.
“Bestätigungsfehler.” In Wikipedia, May 23, 2024. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Best%C3%A4tigungsfehler&oldid=245231273.
“Verfügbarkeitsheuristik.” In Wikipedia, December 30, 2022. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Verf%C3%BCgbarkeitsheuristik&oldid=229317907.
Herrmann, Sebastian. “Forscher weisen Echokammern in Facebook und Twitter nach.” Süddeutsche.de, March 3, 2021. https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-facebook-twitter-echokammer-filterblase-fake-news-trump-1.5219256.
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Die Kunst Bullshit Zu Erkennen, 2018.