#41 Herdenmentalität & Co.: Wie Cyberkriminelle unser Gruppendenken ausnutzen
Seid ihr schon einmal im Ausland vor zwei Restaurants gestanden und dann in das gegangen, in dem mehr los war? Wenn alle anderen dort drin sitzen, kann es ja nicht schlecht sein, oder? Wir orientieren uns am Verhalten anderer Menschen. Vor allem in Situationen, in denen wir es selbst nicht besser wissen und uns informieren müssten. Cyberkriminelle haben diesen menschlichen Hang längst für sich entdeckt und nutzen ihn zu ihren Gunsten.
Die Arten, wie wir uns der Gruppe anpassen, sind vielfältig. Einerseits gibt es die Herdenmentalität. Der Begriff erinnert bewusst an Schafherden. Obwohl viele dieses Verhalten eher abschätzig als das der „Schafe“ bezeichnen, kann es auch nützlich sein.
Was bedeutet Herdenverhalten?
Das Herdenverhalten bedeutet das Verhalten, wenn sich ein Individuum der Gruppe anpasst. Die Psychologie beschreibt unterschiedliche Gründe und Motivationen. In der Neurowissenschaft wird erwähnt, dass unsere Spiegelneurone im Gehirn eine Rolle spielen. Wir beobachten das Verhalten anderer und imitieren es. Selbst wenn das Individuum vielleicht der Meinung ist, dass die Gruppe Unrecht hat, kann es sich dennoch anpassen. Dabei agiert das Individuum sehr emotional, was zu risikohaften Ergebnissen wie Börsenblasen, der Finanzkrise und sonstigen viralen Trends führen kann.

Meme Stocks sind ein faszinierendes Herden-Phänomen und zeigen, welchen Einfluss Social Media inzwischen hat. Dabei handelt es sich um Aktien, deren Kurse innerhalb kurzer Zeit extrem steigen. Dies ist jedoch meist nicht darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen plötzlich viel besser dasteht, sondern darauf, dass sich eine engagierte Online-Community entschliesst, diese Aktie zu kaufen. Bekannte Beispiele sind GameStop und AMC, deren Kurse durch koordinierte Aktionen auf Plattformen wie Reddit in die Höhe geschossen sind.
Konformität als Gruppenphänomen
In der Gruppenpsychologie spielt ausserdem noch ein anderer Begriff eine Rolle. Das ist die Konformität. Konformität unterscheidet sich von Herdenmentalität dadurch, dass sich Menschen der Mehrheit anpassen, um dazuzugehören. Sie wollen Konflikte vermeiden. Oder sie erhoffen sich von der Gruppe eine richtige Entscheidung, wenn sie selbst nicht sicher sind, was richtig ist. In einem klassischen Experiment hat Solomon Asch (1950) eindrucksvoll die Macht des Gruppendrucks demonstriert.
Das Experiment von Solomon Asch mit den Linien zeigt, wie stark Menschen sich der Gruppenmeinung anpassen, selbst wenn diese offensichtlich falsch ist. Eine Versuchsperson sitzt mit mehreren Komplizen zusammen und soll entscheiden, welche von mehreren Linien gleich lang ist wie eine vorgezeigte Referenzlinie.

Die Eingeweihten geben absichtlich und einstimmig falsche Antworten. In vielen Fällen schliesst sich die echte Versuchsperson der falschen Meinung der Gruppe an. Entweder aus Angst, sich zu unterscheiden, oder weil sie der Mehrheit mehr glaubt als sich selbst. So zeigte Asch, wie Gruppenzwang die Wahrnehmung beeinflussen kann.
Im folgenden Clip seht ihr ein perfektes Beispiel für Konformität und den Drang, sich den Regeln der Gruppe anzupassen:
Soziale Bewährtheit (Social Proof)
Ein weiteres psychologisches Phänomen ist die soziale Bewährtheit. Wenn wir uns nicht sicher sind, wie wir uns entscheiden sollen, entscheiden wir uns für das, wofür sich viele andere entscheiden.
Labubu ist sicherlich auch ein Auswuchs der Herdenmentalität und Social Proof:

Diese kleinen, etwas gemein aussehenden Puppen profitieren stark vom „Social Proof“. Ihre Popularität wird durch die Community auf Social-Media-Plattformen wie TikTok vorangetrieben. Nutzer teilen ihre Sammelerlebnisse und Unboxing-Videos und tauschen sich in Gruppen aus. Dadurch steigt die Begehrlichkeit und das Vertrauen in das Produkt. Das Verhalten vieler Menschen wird durch die Beobachtung anderer Konsumenten beeinflusst. Dieser Effekt wird verstärkt, indem Nutzer das Sammeln und Kaufen von Labubu als sozial akzeptiertes und attraktives Verhalten übernehmen.
Social Proof kann also bewirken, dass wir das Verhalten, die Dienstleistungen und Produkte anderer adaptieren, nur weil diese es tun. Auf digitalen Plattformen wirkt Social Proof auch stark verkaufsfördernd, wenn viele gute Rezensionen hinterlassen werden. Das könnt ihr wahrscheinlich auch bei euch selbst beobachten. Würdet ihr Produkt A nehmen, das günstiger ist, aber keine einzige Rezension hat, oder Produkt B, das ein bisschen teurer ist, aber 100 Bewertungen mit durchschnittlich 4.7 von 5 Sternen hat?
Fear of Missing out (FOMO) („Do not get left behind“)
Hinzu kommt der Gruppeneffekt Fear of Missing Out (FOMO). Soziale Medien sind darauf ausgelegt, die Angst, etwas zu verpassen, zu maximieren. Virale Challenges, limitierte Produkt-Drops oder exklusive Trends erzeugen ein Gefühl der Dringlichkeit und des sozialen Drucks, teilzunehmen oder zu kaufen, um nicht ausgeschlossen zu werden.
Die Angst, etwas zu verpassen (Fear of Missing Out, FOMO; „Do not get left behind“), wird bei vielen Produkten geschürt, die sich als cool, exklusiv und erstrebenswert ausgeben. Ein Beispiel sind Festivals wie das Tomorrowland, bei denen es nur limitierte Tickets gibt und der Verkauf praktisch nur einen Tag lang andauert:
Oder Apples Strategie bei Produkteinführungen schürt ebenfalls bewusst das Gefühl von FOMO. Jedes Mal, wenn ein neues iPhone oder andere Produkte vorgestellt werden, sorgt die Geheimhaltung der Details und die limitierte Verfügbarkeit für enorme Vorfreude und einen regelrechten Kaufdruck. Menschen wollen unbedingt dabei sein und das neueste Modell besitzen, bevor es ausverkauft ist. Diese Kombination aus Exklusivität, Knappheit und der großen öffentlichen Aufmerksamkeit schürt FOMO und führt jedes Mal zu langen Warteschlangen und einem riesigen Ansturm auf die Produkte.
Die Schnittstelle von Herdenmentalität und Cyber Security
Herdenmentalität und Co. werden auch gerne von Betrügern und Social Engineers ausgenutzt. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie Betrüger versuchen, einen Reporter zu manipulieren. Es scheint ein neues Phänomen zu sein, dass Hacker statt Phishing nun direkte Anfragen an Schlüsselpersonen stellen. Darin fragen sie direkt, ob sich das Opfer für sie strafbar machen wolle, und versprechen eine hohe Belohnung, Anonymität und Anteile an der durch ihre Cyberattacke ergatterten Summe.
Ein solcher Fall wurde kürzlich von dem BBC-Reporter Joe Tidy berichtet. Er erhielt eine Nachricht mit dem Versprechen „You’ll never need to work again“. In der Argumentation der Ransomware-Gruppe (Medusa) hiess es: „Wenn Sie interessiert sind, können wir Ihnen 15 % jeder Lösegeldzahlung anbieten, wenn Sie uns Zugang zu Ihrem PC gewähren.“

Sie argumentieren, dass viele andere das auch machen und es ganz normal sei. Zudem werde ihm Anonymität gewährt: „Du musst nie wieder arbeiten. Viele andere machen es auch.“
Dies soll Gruppendruck aufbauen und dient als „Social Proof“, dass es andere auch machen. Sie nutzen auch „FOMO“, indem sie ihm hohe Summen versprechen, nur für kurze Zeit natürlich.

Er spielte mit, um darüber berichten zu können. Die Gruppe bemühte sich, den Reporter zu rekrutieren, um mithilfe seines Logins eine Ransomware-Attacke bei seinem Arbeitgeber auszuführen. Das Ganze endete mit einer, wie Tidy es nannte, „sauren Note“. Durch seine Hinauszögerungstaktik wurde die Gruppe scheinbar ungeduldig. Daraufhin erfolgte eine MFA-Bombing-Attacke auf seinen Account.

MFA Bombing ist eine Art Angriff auf den zweiten Faktor. Dabei wurde Tidy mit hunderten automatisierter MFA-Anfragen der Zugangs-App bombardiert. Das Ziel besteht darin, ihn zu verwirren, zu frustrieren und dazu zu bringen, aus lauter Frustration die Anfragen zu akzeptieren.
Da er aus seinem Geschäftsaccount ohnehin ausgeloggt war, war sein Login hinfällig geworden und die Übung wurde abgebrochen.
Fazit Herdenmentalität & Co.
Wie wir sehen, kann die Herdenmentalität uns Sicherheit und Halt geben. Sie kann jedoch auch Gefahren bergen, wenn wir zu wenig kritisch sind und einfach mitlaufen. Deshalb ist die psychologische Sicherheit innerhalb von Unternehmen meiner Meinung nach einer der wichtigsten Faktoren, damit Mitarbeitende sich trauen, ihre Meinung zu äussern, wenn sie das Gefühl haben, dass eine Gruppe nicht recht hat.
Auch in Zukunft wird es höchstwahrscheinlich noch viel Potenzial für Angriffe geben. Beispielsweise durch KI und personalisierte Angriffe, die uns vorgaukeln, dass Beweise vorlägen, wonach alle anderen genauso handeln würden, wie es Betrüger gerne hätten. Das könnten Desinformationen, gefälschte Rezensionen wie heute, aber auf einem viel höheren Skalierungsniveau sein, oder personalisierte Social-Engineering-Angriffe.
3 Fragen
Bevor wir uns das nächste Mal der Masse anschliessen, sollten wir uns drei einfache Fragen stellen:
1) Wie könnte ich mich optimal informieren, ohne mich auf andere zu verlassen?
2) Habe ich mich selbst informiert oder verlasse ich mich nur darauf, was andere tun?
3) Wie würde ich handeln, wenn ich keine Rücksicht auf andere Leute nehmen würde?
Was würdet ihr anfügen?
Bis bald!
Jill
Quellen
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