#18 Die Bedeutung psychologischer Sicherheit im Arbeitsumfeld
Stell dir vor, du bist Teil des Apollo 11-Teams: Die Mission ist klar – ein Mensch auf dem Mond und sicher zurück zur Erde. Doch nun das Undenkliche. Du verstehst nicht, worum es geht. Dann schaust du in die Gesichter deiner Teamkollegen, sie sehen genauso ratlos aus. Aber keiner traut sich etwas zu sagen. Auch du behältst es für dich und sagst dir „ich werde es später herausfinden“. Was passiert nun? Kollisionsgefahr und Blindflug, weil wir uns nicht trauten nachzufragen?
Ein solches Verhalten wäre in einem High-Performance-Team wie Apollo 11 undenkbar gewesen. Psychologische Sicherheit war entscheidend, damit die Teammitglieder ihre Bedenken äussern konnten – ein offenes Umfeld, in dem jede Unsicherheit und jeder Fehler als Lernchance diente.
Wenn wir das Gefühl haben, Fehler zuzugeben oder Fragen zu stellen sei „gefährlich“, bleibt vieles verborgen. Psychologische Sicherheit ist hier entscheidend: Sie sorgt dafür, dass wir uns trauen, Probleme offen anzusprechen, ohne negative Konsequenzen zu fürchten.
In diesem Artikel dreht sich alles um psychologische Sicherheit:
Was steckt hinter dem Konzept der psychologischen Sicherheit?
Wie lässt sich psychologische Sicherheit gezielt fördern?
Warum ist psychologische Sicherheit ein entscheidender Erfolgsfaktor für Unternehmen?
1. Was ist psychologische Sicherheit und warum ist sie wichtig?
Psychologische Sicherheit wurde 1999 geprägt durch die Harvard-Professorin Amy Edmondson. Der Ausdruck bezeichnet ein Arbeitsumfeld, in dem sich Menschen sicher fühlen, zwischenmenschliche Risiken einzugehen. Sie fühlen sich dabei unterstützt, Fragen zu stellen, Bedenken zu äussern und Fehler offen anzusprechen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen.
Nur so konnten die Astronauten unter Neil Armstrong, sowie das Bodenteam in Houston unter extremem Druck agieren. Amy Edmondson beschreibt psychologische Sicherheit als die Grundlage für Teams, die sich darauf verlassen müssen, dass jeder Beitrag zählt und Schwächen offen geteilt werden.
Amy Edmondson betont im Video, dass psychologische Sicherheit nicht heisst, dass man immer nett sein muss. Es heisse auch nicht, dass man dadurch als „soft“ gilt, oder garantiert Applaus erhält für alles was man sagt. Es sei auch keine Erlaubnis zu jammern oder sich gehen zu lassen. Es bedeutet aber, ein Umfeld zu schaffen, offen miteinander zu reden, transparent und ehrlich zu sein.
Beispiel: Googles Project Aristotle (2012), eine Studie, die psychologische Sicherheit als den wichtigsten Faktor für erfolgreichen Teamzusammenhalt identifizierte. In der Analyse von über 180 Google-Teams zeigte sich, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit produktiver und innovativer waren. Diese „Highperforming Teams“ konnten schneller auf Herausforderungen reagieren, neue Ideen flexibler umsetzen und waren insgesamt zufriedener – was auch zu einer geringeren Fluktuation führte.
2. Wie weiss ich, ob mein Team auch Apollo 11 tauglich ist?
Warum nicht mal nachfragen? Das würde jedenfalls ein Forscher aus meinem Bekanntenkreis als erstes empfehlen. Um ein erstes Gefühl dafür zu erhalten, wie es um die psychologische Sicherheit im eigenen Team oder Unternehmen steht, könnte man sich selbst folgende Fragen stellen:
Fühle ich mich wohl dabei, meine Meinung im Team zu äussern?
Kann ich Fehler zugeben, ohne negative Konsequenzen zu befürchten?
Werden neue Ideen in meinem Team willkommen geheissen?
Fühle ich mich von meinen Kollegen und Vorgesetzten respektiert?
Ein Team ohne diese Offenheit riskiert, dass die Rakete am Boden bleibt und entscheidende Informationen verborgen bleiben.
3. Psychologische Sicherheit schaffen
Psychologische Sicherheit passiert nicht von selbst – sie wird aktiv geschaffen. In diesem Teil gibt es zwei Empfehlungen, wie psychologische Sicherheit in Schritten geschaffen werden kann.
Hier sind vier Punkte, die Amy Edmondson empfiehlt, die auch dein Team in Richtung eines Hochleistungsteams befördern können:
Kritik einladen: So wie das Bodenteam ständig Rückmeldungen von den Astronauten einholte: „Was könnte ich tun oder lassen, um unsere Zusammenarbeit zu verbessern?“ Wir hören offen zu und lassen das Feedback wirken, ohne sofort in die Verteidigung zu gehen.
Lob geben: Bei Apollo 11 wurde jede erfolgreiche Etappe gefeiert. Wenn wir regelmässig positives Feedback geben, wird das Team offener für konstruktive Kritik.
Konstruktive Kritik äussern: Fehler wie beim Apollo-Computeralarm während der Landung wurden nicht ignoriert, sondern sofort angesprochen und gelöst.
Feedbackwirkung beobachten: Wir achten darauf, wie unser Feedback ankommt. Statt nur auf die Absicht zu setzen, schauen wir, ob unser Gegenüber sich unterstützt fühlt und reagieren, wenn Anpassungen nötig sind.
Aus der Studie von Google wurden ebenfalls 10 Grundsätze identifiziert, die psychologische Sicherheit fördern:
Google 10 steps aus Aristotle Studie, 2014
Die Anwendung dieser Prinzipien zündet die Rakete erst richtig und verbessert die Teamdynamik, die Leistung und das Wohlbefinden der Teammitglieder. So werden gemäss der Google Studie zudem Hochleistungsteams geschaffen. Solche Teams passen sich bestens an neue Situationen an, steigern den Erfolg und können Innovation vorantreiben.
4. Übungen aus dem Psych Safety Training
Wie bei Apollo 11 helfen Trainingsphasen, um gezielt psychologische Sicherheit im Team aufzubauen. Hier sind drei Beispiele aus den 24 Übungen des Programms des Psych Safety Trainings:
„Ja, und“ – Auf Ideen aufbauen
Kennst du Improv-Theater? Dann ist dir diese Übung sicher bekannt! Das vorher Gesagte wird im eigenen Beitrag aufgenommen und nicht hinterfragt („ja, und“ anstatt „ja, aber“).Wertschätzung üben
In Untergruppen von drei bis fünf Personen reflektieren wir gemeinsam für ca. 10 Minuten: Was schätze ich an dieser Person? Welche besondere Stärke zeigt sie? Wo hat sie mir schon einmal geholfen? Ein wertvoller Austausch, der Vertrauen stärkt.Aufmerksames Zuhören
In Gruppen von drei Personen (jeweils 2–3 Minuten pro Person) üben wir, bewusst zuzuhören. Statt selbst zu sprechen, stellen wir nur Fragen oder ermutigen zum Weiterreden, sobald wir den Impuls verspüren, etwas beizutragen.
5. Psychologische Sicherheit auch im Homeoffice zünden
In einer hybriden Arbeitswelt sollten wir psychologische Sicherheit als Startbasis sehen. Nicht, um das Büro zu ersetzen, sondern um ein starkes Arbeitsklima zu schaffen, das auch remote funktioniert. Hier sind fünf Schritte, die den Antrieb geben:
Den Countdown starten: Unsere Herausforderungen können offen angesprochen werden, und Verantwortung wird gleichmässig verteilt.
Schubkraft durch Vorbild: Wir teilen eigene Hürden im Homeoffice und zeigen so den Weg zu mehr Offenheit.
Vertrauen aufbauen im sanften Steigflug: Wir beginnen mit kleinen Offenlegungen und stärken das Vertrauen Schritt für Schritt.
Positive Beispiele als Treibstoff nutzen: Indem wir Erfolge und gute Lösungen teilen, geben wir dem Team die Energie, offen zu bleiben.
Kurs halten: Wir bleiben wachsam und sorgen dafür, dass psychologische Sicherheit kontinuierlich geschützt bleibt.
Mit diesen Schritten bringen wir die psychologische Sicherheit auf den richtigen Kurs – für ein Team, das auch remote abheben kann.
Fazit und Challenge
Am Anfang haben wir die Situation beschrieben, in der sich alle im Meeting unsicher fühlen und Fragen ungestellt bleiben – ein Zustand, den das Apollo 11-Team niemals akzeptiert hätte. In diesem Artikel hast du erfahren, wie psychologische Sicherheit ein Team zu Höchstleistungen bringen kann und welche Schritte dich dorthin führen können.
„one small step for [a] man, one giant leap for mankind.“
Neil Armstrong, 1969
Challenge, 3, 2, 1:
Hier ist die Mission für dich: Beim nächsten Meeting geht es zum „Liftoff“: Starte beim nächsten Meeting damit, die ersten Schritte anzuwenden – lade Feedback aktiv ein, ermutige dein Team, Fragen zu stellen, und achte darauf, Verantwortung klar zu verteilen. Nutze diese Schubkraft, um die psychologische Sicherheit Schritt für Schritt zu stärken – für eine Arbeitskultur, in der sich jeder frei fühlt, Ideen und Bedenken zu äussern.
Bis bald 🚀
Jill
Fearless Organization Buch von A. Edmondson, 2018
Referenzen
Edmondson, Amy. „Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams“. Administrative Science Quarterly 44, Nr. 2 (Juni 1999): 350–83. https://doi.org/10.2307/2666999.
Poyton, Bea. „Google’s Project Aristotle“. Psych Safety (blog), 28. März 2024. https://psychsafety.co.uk/googles-project-aristotle/.
„Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz | Kalaidos FH“, 4. Februar 2022. https://www.kalaidos-fh.ch/de-CH/Blog/Posts/2022/02/Wirtschaftspsychologie-1046-Psychological-Safety.
„Apollo 11“. In Wikipedia, 7. November 2024. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Apollo_11&oldid=1255870666.